Als ich zum ersten Mal meine Hände an ein Gamepad legte, waren Videospielhelden eigentlich nur süß und tapfer. Drollige Saubermänner dominierten die Games-Branche. Doch mit voranschreitendem Alter hat sich auch das Heldenbild verändert.
Wenn ich mir die Charaktere der heutigen Zeit ansehe, dann nehme ich vermehrt vielschichtige Persönlichkeiten wahr. Sie haben Ecken wie Kanten und du fragst dich: Würde ich mit dem befreundet sein wollen? Früher habe ich mich das nicht gefragt. Da war sofort klar: Yoshi wird mein neues Haustier.
Auf einmal fand ich mich jedoch in einem Sammelsurium von Antihelden wieder. Da waren Typen wie Dante aus Devil May Cry, Hitman-Agent 47 oder Max Payne aus dem gleichnamigen Action-Spiel. Tragische Helden gab es bereits schon früher, aber die Entwicklung der letzten zehn Jahre brachte eine durchaus interessante Wandlung mit sich: Der neumodische Held darf, beziehungsweise muss, auch manchmal ein Arschloch sein. Verruchte Typen genießen ohnehin ein Exotendasein. Sie sind interessanter, oftmals auch detaillierter in ihren Charakterzügen und bieten mir die Möglichkeit, endlich eine andere Seite des Videospielalltags zu erleben.
Ein Kulturgut schreit geradezu nach solchen Charakteren. Sozialkritisch und politisch unkorrekt liegt mittlerweile voll im Trend. Entwickler Rockstar Games schafft solche Antihelden fast mit jedem neuen Spiel. In GTA IV war es der illegale Einwanderer namens Niko Bellic. Anfangs noch hoffnungsvoll, ein neues Leben in Liberty City zu beginnen, verkommt er jedoch immer mehr zu dem was er eigentlich am meisten verabscheut: Zu einem Gangster ohne große Perspektive. Trotzdem bleib er immer bemüht sich gewisse moralische Werte noch zu bewahren. Ich spielte diesen Charakter wirklich sehr gerne. Er präsentiert eine Ausweglosigkeit, die man selten in Spielen dargeboten bekommt. Mit manchen Entscheidungen kam ich ebenso wenig klar wie Niko selbst, aber man musste sie treffen.
Helden dürfen wieder sterben
Verzweifelt blicke ich auch auf John Marston zurück. Der Protagonist aus Red Dead Redemption , der seine kriminelle Vergangenheit hinter sich lassen will. Ein sympathischer Kerl, der cool ist, aber dennoch keinen Fuß auf den Boden bekommt. Das Ende ist dementsprechend tragisch und war für viele Spieler eine neue Erfahrung. An dieser Stelle sollte ich vielleicht vor Spoilern warnen!
Der Outlaw tut alles dafür, um sich zu rehabilitieren und bekommt am Ende dennoch nur einen Tritt in den Hintern. Als Spieler bekomme ich hingegen nach langer Zeit mal wieder gezeigt, wie es ist, seinen Charakter sterben zu sehen, obwohl ich alles richtig gemacht habe. Denn genau das passiert: John Marston stirbt. Mein erster Gedanke in diesem Moment war: „Wie, im Ernst jetzt? Wo ist mein Extraleben? Der steht bestimmt gleich wieder auf.“ Aber nein, denn das ist die Leidensgeschichte der neuen Helden. Sie können sterben, machen Fehler und ich kann nichts dagegen tun. Manchmal entpuppt sich der Protagonist sogar am Ende als der eigentliche Feind.
Einige Entwickler erkennen dabei auch für sich die Möglichkeit, alten Legenden ein neues Auftreten zu verschaffen. Tomb Raider Lara Croft wurde beispielsweise diesem Persönlichkeits-Lifting unterzogen. Verwundbar, aber dennoch taff kämpft sich das einstige Sex-Symbol der Games-Branche durch ihr neues Abenteuer.
Mit einem Hauch von Survival Horror soll die neue Lara mit weniger Oberweite und dafür mehr Charakterzügen zum alten Erfolg geführt werden. Mit Max Payne 3 hat Rockstar Games ebenfalls einen alten Helden im Köcher. Abgewrackt und mit Übergewicht lässt sich auch hier erahnen, dass sich der gefallene Cop mit sehr menschlichen Problemen beschäftigen wird. Max Payne war jedoch schon immer das Paradebeispiel des leidenden Protagonisten. Eigentlich kommt jetzt nur noch eine Schippe drauf.
Aber egal ob Alan Wake, Sam Fisher, Ethan Mars aus Heavy Rain oder Cole Phelps, der sich zuletzt in L.A. Noire als Gescheiteter mit guten Vorsätzen präsentieren durfte. Sie haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie definieren das Bild des tugendhaften Videospielhelden neu. Es sind keine übermenschlichen Polygone oder Fabelwesen, auf die man seine Wunschträume projiziert, sondern charismatische Typen mit denen man eben auch in der Gosse enden kann. Klasse!